Hinterlandrauschen

Freier Journalismus aus der Oberpfalz

Die Zukunft – Ein Ort, von jeder Inspiration verlassen: Das Futurium in Berlin

Joshi und ich besuchen das Futurium, Instafilter im Großformat. Bild: Beate Luber

Von Beate-Josefine Luber

Statt sich in Clubs oder Kneipen abzudichten, gehen mein guter Freund Joshi und ich bei meinen Berlin-Besuch jetzt immer Kunst anschauen. Ich finde das gut. Alkohol und andere Drogen vertrage ich eh nicht so gut. “Dann gehen wir aber endlich mal ins Futurium”, sagt Joshi. Seit zwei Jahren sagt er das. Ich schaue ihn von der Seite an. Warum interessiert sich der Typ für die Zukunft? Joshi, der seit 2 Jahren ein Smartphone hat, und nur, weil er eins mit Displaybruch zu Silvester in der U-Bahn gefunden hat. Joshi, dessen Zukunftspläne meistens zum nächsten Urlaub im Sommer reichen. Der mich immer lehrt, dass es in der Gegenwart doch am schönsten ist und mit dem die Gegenwart auch meist am schönsten ist.

Das tote Herz von Berlin

Jetzt also Futurium, na gut. Wir fahren von Neukölln zum Hauptbahnhof. Die Fläche hinter dem Bahnhof, die jahrelang Brache war, ist vollgepflastert mit Hochhäusern und Bürobauten. Es sieht unterträglich hässlich aus, und ästhetisch steigert sich das auch nicht mehr. Stahl-Beton-Ungetüme säumen unseren Weg.

Irgendwann war Mitte mal schön. Früher, als der alte Tränenpalast in der Friedrichsstraße stand, das Tacheles in der Oranienburger Straße, und der Palast der Republik in Unter den Linden. Das alles hab ich noch gesehen, als ich nach Berlin zog, damals 2003. Da war Mitte noch lebendig. In einer Seitenstraße der Friedrichsstraße saßen Anwohner*innen auf Couchen auf dem Bürgersteig und tranken Kaffee. Jetzt lebt dort nix mehr, nur noch Beton. Mitte hat sich in das tote Herz Berlins verwandelt.

Doch gut, ich möchte mich nicht länger einreihen in die endlose Tirade der Berlin-Nostalgiker. Anschnallen, jetzt geht’s in die Zukunft! Unser Weg dorthin führt vorbei an “Design Offices Berlin” und “Pricewaterhouse Coopers”, wir vollführen Kotzgeräusche. Und dann ist sie da, die Zukunft, das Futurium – ein Museum für “offene Fragen der Zukunft”, eröffnet 2019. Es ist etwas schwer zu erkennen. Die Glasfassade verschwimmt mit dem Grau des Himmels. Wir jubeln trotzdem. Das haben wir von unseren Clubnächten gelernt. Wenn’s scheiße ist, erstmal jubeln.

“Die Zukunft verwirrt mich jetzt schon”

Joshi raucht noch aus, und ich verliere mich im Bodenmuster: Weiße Kreise auf grauem Beton. Wir gehen rein, kein Eintritt. Großer Pluspunkt!

Wir wenden wieder unsere Taktik des künstlichen Stimmungsmachens ans, rufen “Ahh” und “Ohh” und flüstern “Future”. Okay, erstmal Jacken einschließen, dann kurze Desorientierung. Wo geht’s hin? Wir sehen viele Schilder: Lab, Forum 1, Forum 11. “Die Zukunft verwirrt mich jetzt schon”, sagt Joshi. Doch bevor wir uns wimmernd und verwirrt in einer Ecke verstecken, entdecke ich den erlösenden Pfeil “Ausstellung”. Wir folgen einem für uns vorherbestimmten Pfad und sind froh darüber.

Die Ausstellung in einer Zeit vor Corona. Jetzt trugen natürlich alle Masken und 2G. Bild: Jan Windszus/futurium.de

Wir erreichen den 1. Stock, sehen eine riesige Holzskulptur in der Mitte eines Raumes mit großer Glasfront mit direktem Blick auf noch mehr Beton und Herrschaftsarchitektur, Kanzleramt, Abgeordnetenhaus – und ich hab jetzt schon keinen Bock mehr. Nennt mich voreingenommen, stur und überempfindlich, aber als ich den Ausblick gesehen habe, habe ich gewusst: Das wird nichts. Hier gibt es nichts Spannendes für mich.

Zukunft = Gegenwart + x

Okay, ich gebe der Ausstellung noch eine winzige Chance. Doch als ich die textlastigen Exponate sehe, habe ich schon wieder keine Lust mehr. Es geht um Insekten, künstliche Organen und Stadtplanung. Ich verstehe alles nicht so genau und erst später wird mir klar, worauf dieses angeödete Unverständnis basiert. Nirgendwo wird sichtbar, auf welchen Thesen diese Zukunftsbilder basieren. Sind es mögliche Entwicklungspfade, die nach dem Stand der Wissenschaft extrapoliert wurden? Sind es Wunschbilder – und wenn ja, von wem? Sind es Wahrscheinlichkeiten – und wenn ja, wie hoch? Nirgendwo wird die philosophische Frage reflektiert, dass unser Bild von der Zukunft ausschließlich auf der Vergangenheit und Gegenwart beruht. Es weiß doch keiner, was passiert. Die Erde könnte in in der nächsten Sekunde weg sein, Meteoriteneinschlag, was weiß ich. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie das Universum hergibt: unendlich viele.

Wie wir denken, dass die Zukunft aussehen wird, ist Resultat unseres gegenwärtiges Wissensstandes, unserer Wünsche, Ängste, Hoffnungen. Unser Bild von der Zukunft sagt nichts über die Zukunft aus, rein gar nichts. Das alles ist kein Thema in der Ausstellung.

Grün predigen, Beton trinken. Der “Green New Deal” im Außenbereich des Futuriums. Bild: David von Becker/futurium.de (Ausschnitt)

Was mich auch verstört: Die fehlende Vorbildwirkung. Rein energietechnisch scheint das Gebäude noch aus den Good-Old-Days der industriellen Revolution zu stammen, als man dachte, es seien noch unbegrenzt Ressourcen auf Erden vorhanden. Die Zukunftsbilder, die das Museum präsentiert: Grüne Stadt, keine Autos, überall Radfahrer und entrückt grinsende Menschen, Bäume, die an Gebäuden wachsen. Vor dem Futurium verdorren drei Grashalme in der Betonwüste.

Wie “Zurück in die Zukunft 2”

Die Museumsarbeiter*innen haben übrigens Westen mit LED-Lichtern an, wo “Ask me” draufblinkt. Damit sollen sie vielleicht so futuremäßig aussehen, wirken aber eher wie Darsteller von “Zurück in die Zukunft 2” oder Gäste auf einer 90er-Techno-Party.

Nicht im Bild: Die Mitarbeiterin, die daneben steht, und das Robotersprech in menschliche interaktive Sprache übersetzt. Bild: David von Becker/futurium.de

Achja und es gibt auch einen Roboter, der als Portier hinter einem Tresen steht und irgendwas redet. Keiner versteht was, weil er ohne Punkt und Komma immer denselben Text runterspult. Daneben steht eine Mitarbeiterin und erklärt das alles nochmal. Diesmal verstehen wir es.

Ich spiele Vier-gewinnt mit einem Roboterarm und verliere dreimal hintereinander. Ist das die viel beschworene künstliche Intelligenz? Joshi spielt einmal und es endet unentschieden. Sollte mir wohl eher über meine natürliche Intelligenz Gedanken machen.

Der Computerarm, gegen den ich mehrmals im Vier-gewinnt verloren habe. Grrr. Bild: Ali Ghandtschi/futurium.de

Nun kommt ein wichtiger Insidertipp: Sagt niemals “Ja” zu einer Umfrage im Futurium. Ich gehe durchschnittlich ein- bis zweimal im Monat in ein Museum, aber noch nie wurde ich dort gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen. Weil mich die Ausstellung eh nicht interessiert, sage ich zu. 20 Minuten muss ich Fragen beantworten. Nur mein lähmendes Hungergefühl und niedriger Kreislauf hinderten mich daran, schreiend davonzulaufen. Dafür vergebe ich immer schlechtere Punkte.

Das Robotertheater

Als es vorbei ist, atme ich tief aus und bettele Joshi an, sofort zu verschwinden. Doch er will unbedingt noch zum “Robotertheater”. Na gut, vielleicht reißt es das wieder raus. Nein: Drei Plastikdinger mit Augen, aus denen Stimmen rauskommen. Jedes Kasperltheater ist schöner gestaltet.

Lichter in eine dunkle Wand eingelassen, mit Spiegeln. Soll irgendwie Datenbits symbolisieren oder so. Pures Instagold auf jeden Fall. Bild: Ali Ghandtschi/futurium.de

Wir gehen noch ins “Future Lab”. Es ist ganz lustig, aber ich verstehe auch da das Konzept nicht. In einem Wahlkabine kann man seine politischen Präferenzen bestimmen, indem man in eine Kamera reingrinst. Dann rechnet die irgendwas. Bei mir zeigt es 37% CDU an, bei Joshi 32% SPD. Häh? Verraten meine Gesichtszüge trotz Kirchenaustritt und antikonservativer Werthaltung immer noch ihre bayerischen-katholischen Wurzeln? Ist mein Gesicht heimlicher CDU-Wähler? Oder ist das einfach völliger Blödsinn?

Instagoldgrube

Beim Rausgehen entdecken wir noch eine Kamera mit lustiger Filterfunktion. Wenigstens für Insta springt bisschen Content raus.

Goil. mehr Instagold. Bild: Beate Luber

Endlich im Augenblick

Später gehen wir noch in den Gropius-Bau. Im Lichthof ist eine Soundinstallation, auch gratis für alle. Wir lassen uns nieder auf gemütlichen Sitzblöcken, bespannt mit Stoffen, die von nigerianischen Grafikdesigner*innen und Weber*innen entworfen wurden. Wir entspannen uns, legen unsere Rücksäcke und Jacken ab. In der Mitte ein 9 Meter hoher Baum, auch bespannt mit bunten Stoffen. Wir schauen um, reden nicht viel. Zur vollen Stunde tönt aus 12 Lautsprechern ein Chor, der traditionelle Lieder der Igbo singt, einer Ethnie aus Nigeria. Ich schließe die Augen, atme, lausche den wunderschönen Gesängen, bin ganz da. So soll meine Zukunft sein.

Emeka Ogboh, Ámà: The Gathering Place, Installationsansicht, Gropius Bau, Berlin, 20.10.2021–16.1.2022.
Bild: Luca Girardini

Nippelkunst: Ausstellung “Adhibet” im Kunstverein Weiden

Ganz viele Nippel gibt es noch bis 20. November im Kunstverein zu sehen. Die Vernissage zur Ausstellung “Adhibet” hat gezeigt: Kunst ist für alle da, nicht nur für “Boomer”.

Flyer zur Ausstellung von Adhibet.

Autorin: Beate-Josefine Luber*

Wollen wir erst einmal mit einem Gerücht ausräumen. “Adhibet” heißt gar nicht Brustwarze auf lateinisch, wie die Initiatoren der Ausstellung das verbreiteten. Ob das jetzt auf mangelnde Google-Fähigkeiten zurückzuführen ist oder Absicht war, sei dahingestellt.

Sonst haben sich die Ausstellungsmacher aber ins Zeug gelegt. Vor etwa zwei Jahren gab es den ersten Aufruf auf Social Media und im Freundeskreis (Hinterlandrauschen berichtete), Nippelbilder einzuschicken. Resultat ist die große “Wall of Nipples” in der Ausstellung. Sechs Künstler, etwa 30 Einzelwerke. Jede freie Fläche in den Ausstellungsräumen ist voll mit Nippelkunst. Es ist wunderbar, dass “Adhibet” den Begriff “Nippelkunst” in Weiden salonfähig gemacht hat, denn es ist ein wunderschöner Begriff.

Weniger auf semantischer, denn auf soziokultureller Ebene ist ihnen aber noch etwas sehr wichtiges gelungen. Durch ein anschlussfähiges Thema und eine kreative Social-Media-Präsenz haben sie die Jugendszene – Boomer nennen sie die “Generation Z” – in Weiden und der Region für den Kunstverein erschlossen. Viele Leute, die unter 25 Jahre alt sind, kamen zur Ausstellung, die vorher noch nie in den Räumen waren, ja gar nicht von der Existenz der Institution wussten. “Krass, dass es in Weiden so ein großes Museum über einer Kneipe gibt. Hätte ich echt nicht gedacht”, staunt ein Anfang-Zwanzigjähriger. Er kommt mit seiner Crew ein paar Stunden nach Ausstellungseröffnung vorbei, als ich gerade allein rumsitze und Nippelkekse knabbere.

“Generation Z” im Kunstverein vor der Wall of Nipples mit der Verfasserin (links und Generation Z nur im Herzen, nicht altersmäßig). Die Ausstellung “Adhibet” hat eine neue Zielgruppe erschlossen.

Sie wuseln durch die Räume, machen Selfies, einer zieht sich aus klebt sich Nippelaufkleber auf den Körper. Als ich merke, dass sie nicht genug von Kunst bekommen, zeige ich ihnen auch noch das Museum Max Bresele. Die Geschichte des Künstlers ist super vermittelbar: Ein Freak, der allein in einer Scheune in der Oberpfalz lebte, und Müll zu Kunst machte, Upcycling eben. Großes Staunen.

Die Idee verselbständigt sich. Eine der Gäste macht spontan selbst Nippelkunst.

Auch die Bilder in Gedenken an die Proteste gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf stoßen auf Interesse. Da haben Leute demonstriert und Protest-Camps gebaut, wie heute im Danni und Hambi. Ja genau, da gab’s auch diesen Film drüber.

Die Nippelkunst ist für junge Leute eh gut vermittelbar. Sex sells und macht Spaß. Und dass weibliche Nippel auf Instagram verboten sind und männliche Nippel nicht, empfinden eh alle als unlogisch.

Danke für das Interesse. Kunst macht Spaß, kommt bald wieder.

Die Ausstellung ist zu besichtigen, wenn das Neue Linda offen hat, also Mittwoch bis Samstag, ab ca. 20 Uhr.

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*// Freiwilliger #TransparenzHinweis: Die Verfasserin ist Beirätin im Kunstverein Weiden und hat bei der Ausstellung als Künstlerin teilgenommen.

Wegen Maskenpflicht: Hans Söllner cancelt kurzfristig Konzert in Weiden

Hans Söllner wandelt sich vom “bayerischen Rebell” gegen Rechts zum Rebell für Rechts. Fotocredit: Stefan Brending (File:2017 Hans Soellner & Bayaman Sissdem – by 2eight – 8SC7151.jpg – Wikimedia Commons) Montage: Beate Luber

Der Musiker Hans Söllner will nicht in Weiden spielen. Der Grund ist die Maskenpflicht in der Max-Reger-Halle. Der ehemals linke Rebell ist nicht nur Gegner der Coronamaßnahmen. Er verharmlost den Holocaust und teilt Verschwörungsideologien.

Es ist eine sehr kurzfristige Absage: Neun Tage, bevor das Konzert von Hans Söllner in der Max-Reger-Halle stattfinden soll, sagt der Künstler es selbst ab. Das bestätigt Johannes Häring, Geschäftsführer der Max-Reger-Halle, auf Anfrage von Hinterlandrauschen. Auch für die Veranstalter kommt die Absage offenbar überraschend. NT-Ticket und OK-Ticket bieten am selben Tag die Tickets noch an, während die Webseite von Hans Söllner bereits verkündet: “Weiden -> wird verschoben auf 2022”.

Der Grund für die Absage: Der 65 Jahre alte Musiker akzeptiert die Coronamaßnahmen nicht. Am 9. Oktober verkündete das “Team Hans Söllner”:

Hans spielt auf keinen Fall 2G oder 3G Plus (nur gültiger PCR-Test) Konzerte in Regionen, in denen der PCR-Test kostenpflichtig und vorgeschrieben ist. Wie bei uns in Bayern… Auch Konzerte ohne Abstand, bei denen während dem gesamten Konzert Maskenpflicht besteht, wird Hans nicht spielen!

Richtigstellung zum Instagram-Post vom 07.10.21 bzgl. 3G Plus Konzerten – Hans Söllner (soellner-hans.de)

Das alles trifft auf die Veranstaltung in Weiden zu: Seit 11. Oktober sind in Deutschland Coronatests kostenpflichtig. In der Max-Reger-Halle gilt 3G und Maskenpflicht während der Konzerte.

Dass der Musiker das Konzert aufgrund der Kritik an Coronamaßnahmen abgesagt hat, will Häring nicht bewerten: “Ich kann keinem vorschreiben wie er zu Corona steht.” Söllner ist nicht der erste, der wegen Maskenpflicht nicht in die Max-Reger-Halle kommt. Geschäftsführer Häring erinnert daran, wie er vor gut einem Jahr der Stadträtin Sonja Schuhmacher den Zugang zur Halle verweigerte, weil sie keine Maske aufsetzen wollte. “Das sind die Regeln. Ob die jemand gut oder schlecht finde, hat damit nichts zu tun.”

Wie Sonja Schuhmacher ist auch Hans Söllner nicht nur ein Maskenpflicht-Kritiker, sondern solidarisiert sich auch stark mit der verschwörungsideologischen Szene. Söllner hat zwar immer noch das Image des “bayerischen Rebells”, aber nun eher von Rechts. In sozialen Netzwerken teilt er Verschwörungsideologien und verharmlost die Verbrechen des Nationalsozialismus. Auch sein Plattenlabel Trikont distanziert sich von dem Musiker, trennt sich jedoch nicht von ihm. “Seine Vergleiche mit dem Dritten Reich entbehren jeder Grundlage und verharmlosen den Terror des Nazi-Regimes in einer unerträglichen Weise”, sagt Trikont-Labelchefin Eva Mair-Holmes dem Tagesspiegel.

Söllners Aussagen sind geradezu typisch für die rechtsoffene Szene der Querdenker: Die Initiative gegen Rechts Regensburg berichtet, dass der Musiker AfD-Posts teilt, auf einem Konzert in Regensburg 2019 sagte, dass bald ungeimpfte Personen eine gelbe Armbinde mit der Aufschrift „nicht geimpft“ tragen müssten und vom „Judenrat“ sprach. Auch in dem aktuellen Konzertabsage kritisiert das “Team Hans Söllner” eine “Hetzjagd auf Ungeimpfte.” Die Initiative gegen Rechts fordert deshalb Konzertveranstalter und Hallenbetreiber auf, dem Musiker keine Bühne mehr zu geben.

In der Max-Reger-Halle wird der Musiker weiter auftreten. Als möglichen Ausweichtermin nennt Johannes Häring den 6. April 2022, der sei jedoch noch nicht bestätigt.

Abtreiben ist nicht kriminell: Aktionstag für reproduktive Selbstbestimmung

Demonstration und Info zum Safe Abortion Day in Weiden/Oberpfalz. Bild: Beate Luber

Zu wenig oder schlechte Beratung, zu wenig Ärzt*innenwer in der Oberpfalz wohnt und einen Schwangerschaftsabbruch machen lassen will, hat viele Hindernisse. Eine Abtreibung ist nie einfach für eine Frau. Doch die Gesetzeslage kriminalisiert Frauen und Ärzt*innen zusätzlich. Doch es gibt viel Protest gegen §218 und §219.

Von Ruth Ockl

In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche nach §218 StGB eine Straftat. Unter bestimmten Bedingungen, wie einer vorherigen Beratung, bleibt die Abtreibung zwar straffrei. Trotzdem nimmt das Gesetz der Frau ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Wenn jedoch Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert werden, führt das nicht zu weniger Abbrüchen. Wenn „Lebensschützer“ Zellhaufen retten wollen, sorgen sie lediglich für Gefahrensituationen, in denen sich ungewollt Schwangere wiederfinden. Wenn kein Zugang zu sicheren, medizinisch begleiteten Abbrüchen besteht, greifen Betroffene zu verzweifelten, gefährlichen Methoden.

Holzstäbe für illegale Abtreibungen. Quelle: Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch https://www.muvs.org/media/filer_public/16/d1/16d1d5c4-3937-4967-b0f3-2a2f6cb224a4/holzstaebe_04_dl.jpg

Das berüchtigte Beispiel dafür sind Metallkleiderbügel, die heute ein internationales Symbol der pro Choice Bewegung sind. Im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch Wien sind zahlreiche weitere ausgestellt: Ärzt*innen, die trotz des früheren Verbots Abtreibungen vornahmen, verwendeten Instrumente, die ursprünglich für Ohren entwickelt wurden, Klistierspritzen oder Harnkatheter. Privat wurden, neben Kleiderbügeln, Stricknadeln oder Fahrradspeichen, sogar Holzstäbchen verwendet. Auch mithilfe von chemischen Substanzen, wie Kalilauge, Glyzerin und Zitronensäure wurden Schwangerschaftsabbrüche eingeleitet. Das alles bringt natürlich ein erhebliches gesundheitliches Risiko mit sich.

Ein Glück, dass wir heute Zugang zu medizinisch sicheren Methoden haben! Wobei, eigentlich ist der Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch reines Glücksspiel – Im Atlas liegen oft nur wenige Zentimeter zwischen Entkriminalisierung und Strafrechtlicher Verfolgung. Alleine im oft so fortschrittlich gepriesenen Europa sind Abbrüche in Andorra, Nordirland, Liechtenstein, Monaco, Malta, Polen und San Marino entweder vollständig verboten oder nur bei lebensgefährlichen und aus Vergewaltigungen resultierenden Schwangerschaften erlaubt. In vielen Teilen Südamerikas, Afrikas und Südostasiens ist die Situation ähnlich – Betroffenen bleibt nur der Kleiderbügel.

Quelle: Statista http://cdn.statcdn.com/Infographic/images/normal/13680.jpeg

Die WHO geht jährlich von 25,5 Millionen Abbrüchen unter medizinisch unsicheren Bedingungen aus, das entspricht beinahe der Hälfte der insgesamt durchgeführten Abbrüche. 25,5 Millionen Schwangere, die sich einem unsicheren Abbruch aussetzen müssen, ist eine schreckliche Zahl.

Stigmatisierung in der Gesellschaft und ihre Wurzeln

In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche seit den frühen 90er Jahren entkriminalisiert, so lange sie unter gewissen Bedingungen stattfinden. Das bedeutet: Grundsätzlich wird das künstliche Beenden einer Schwangerschaft noch immer als Verbrechen angesehen. Wer einen Abbruch vornehmen lassen will, wird strafrechtlich nur nicht verfolgt, wenn ein streng regulierter Ablauf befolgt wird. Liegt keine medizinische Indikation für das Beenden der Schwangerschaft vor, ist ein vorheriges Beratungsgespräch bei einer registrierten Stelle Pflicht. Da diese Gespräche teilweise auch von christlichen Organisationen durchgeführt werden, sind Betroffene schon im ersten Schritt mit gesellschaftlicher Stigmatisierung konfrontiert: bei Donum Vitae zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens e.V. zum Beispiel, die auch eine mehrere Beratungsstelle in der Nordoberpfalz, unter anderem in Weiden und Amberg, haben. Donum Vitae ist eine christliche Organisation mit mehr als 200 deutschlandweiten Standorten. Dort ist das Ziel eines Beratungsgesprächs das Lebensrecht des „ungeborenen Kindes“. Alleine diese Zielsetzung spricht Betroffenen bereits ihre Autonomie ab, greift ein in das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Ungewollt Schwangere haben wenig Ansprechpartner*innen, sollte nicht gerade das Beratungsgespräch ein neutraler Ort sein, in dem Ängste und Gefühle kommuniziert werden können?

Die Situation in der Oberpfalz

Auf dem Land und im katholisch geprägten Süden Deutschlands ist die Situation für ungewollt Schwangere allgemein schlechter als sonst. In der Oberpfalz gibt es insgesamt 13 anerkannte Beratungsstellen. Der Großteil davon ist Teil des jeweiligen Gesundheitsamts, drei sind Teil des christlichen Vereins Donum Vitae. Lediglich in Regensburg existiert eine Pro familia Stelle.

Im gesamten Regierungsbezirk gibt es zwei gynäkologische Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, beide befinden sich in Regensburg. Die allgemein schlechte Versorgungslage in Ostbayern führt jedoch häufig zu langen Wartezeiten, dennoch sind entkriminalisierte Abbrüche in Regensburg nur bis zur 10. statt der 14. Woche möglich. Claudia Alkofer, Leiterin von Pro familia Regensburg, berichtet bei Regensburg Digital, dass es durch diese Regelung auch zu zeitlichen Schwierigkeiten kommen würde. Thoralf Ricke vom Profamilia-Landesverband Bayern bestätigt auf Anfrage von hinterlandrauschen.de, dass es in der gesamten Oberpfalz derzeit nur 2 Ärzt*innen gebe, die Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung durchführen. Ebenso würden in der gesamten Oberpfalz an  keiner Klinik Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, auch nicht am Uniklinikum. Auch in Niederbayern fänden Frauen keine Kliniken, die Abbrüche durchführen und nur eine Ärzt*in, die bis zum Ende der gesetzlichen Frist von 12 Wochen Abbrüche durchführt.

Kliniken, in denen Abbrüche angeboten werden, gibt es erst in München und Nürnberg. In Passau, in dem es jetzt wieder, nach monatelanger Lücke, ein einziges ambulantes Angebot gibt, dürfen Kliniken nicht einmal Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Dass Selbstbestimmungsrechte in der Region noch stärker als laut deutschen Gesetzes eingeschränkt werden liegt wohl auch an dem massiven Einfluss bekannter Abtreibungsgegner. Regensburger Bischof Rudolf Vorderholzer predigt 2017 auf dem in Berlin abgehaltenen „Marsch für das Leben“ über Freiheitsrechte, die er mehr dem „ungeborenen Leben“ – einem Zellhaufen – zuspricht als ungewollt Schwangeren. Stefan Oster, Bischof von Passau, schickt Grußworte. Auch die AfD Nahe Gloria von Thurn und Taxis ist starke Abtreibungsgegnerin, wobei für sie bereits Verhütungsmethoden Mord sind. Sie befürwortet den umstrittenen ProLife Film „unplanned“ und unterstützte den Schwangerschaftsfonds Kultur des Lebens, ein Projekt der Stiftung Ja zum Leben. Insgesamt gibt es in Bayern 16 Vereine, die sich gegen Schwangerschaftsabbrüche einsetzen.

Ärzt*innen werden nicht ausgebildet und kriminalisiert

Die Stigmatisierung und rechtliche Lage erschweren auch den Zugang zu geeigneten gynäkologischen Praxen. Paragraph 219a des Strafgesetzbuches verbot Ärzt*innen bis vor 3 Jahren überhaupt nur anzugeben, dass sie Abbrüche vornehmen, noch heute dürfen sie nicht über Abtreibungsmethoden informieren. Die Gynäkologin Kristina Hänel, die auf ihrer Website Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellte, wurde auf Grund dieses Verbotes bereits mehrmals verurteilt.

Logo der Kampagne gegen §218.

Vor einigen Jahren waren die zuverlässigsten Quellen, wo Abbrüche überhaupt durchgeführt werden Abtreibungsgegnerforen, in denen sich Betroffene mit zusätzlichem Hass und Fehlinformationen auseinandersetzen mussten. Mittlerweile gibt es glücklicherweise feministische Organisationen, die sich mit der Informationsvermittlung über Schwangerschaftsabbrüche auseinandersetzen. Dennoch bleibt das absurde „Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche“ Teil des deutschen Strafrechts.

Auch das Gesundheitssystem legt Betroffenen unnötige Steine in den Weg: Wer einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lässt, muss die Kosten, die zwischen 200€ bis 500€ liegen, in der Regel selbst tragen. Zusätzlich zu der teils schwerwiegenden ökonomischen Belastung gibt es immer weniger gynäkologische Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche überhaupt anbieten. Die medizinische Versorgungslage verschlechtert sich, da Abtreibungen nicht Teil des Lehrplans in der Gynäkologie sind. Aktuell Praktizierende treten in den Ruhestand ein, doch die neue Generation bleibt aus.

Die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist kein rein gesellschaftliches Problem, das aus historischen Umständen entstand, sondern wird von staatlicher und medizinischer Seite massiv aufrechterhalten. Eine Legalisierung, vereinfachter Zugang zu Behandlungen und der Ausschluss religiöser Organisationen aus dem Prozess wären die einfachsten Schritte, um dem entgegen zu wirken.

Schwangerschaftsabbrüche sind ein Tabuthema, obwohl sie weit verbreitet sind. Jährlich werden in Deutschland um die 100.000 Abbrüche vorgenommen, dennoch fühlen sich die meisten Betroffenen in großen Teilen des Prozesses alleine gelassen. Wir müssen mehr über dieses Thema sprechen, öffentlich und privat. Wir müssen die vielen Hürden anklagen, die ungewollt Schwangeren in den Weg gelegt werden, wir müssen unsere Freund*innen unterstützen und unsere Erfahrungen austauschen, damit Abbrüche diskutiert und akzeptiert werden und die Autonomie über den eigenen Körper endlich auch vollständig Teil der Gesetzeslage wird.

Weitere Informationen:

Wegmit218: https://wegmit218.de/

Informationsflyer: https://www.online-zfa.de/fileadmin/user_upload/Haenel-Informationen_zum_Schwangerschaftsabbruch_MMK.pdf

Pro familia Regensburg: https://www.profamilia.de/angebote-vor-ort/bayern/regensburg

Beratungsstellen in der Oberpfalz: https://www.stmas.bayern.de/schutz-ungeborenes-leben/beratung/index.php#sec6

Let’s not talk about sex: Protest-Graffiti gegen sexuelle Gesundheit

Während die Parteien vor der Bundestagswahl das ganze Land mit ihren Parolen und Gesichtern vollpflastern, fährt eine unbekannte Person in Weiden eine ganz eigene politische Agenda.

Ein Unbekannter schmiert Sprüche auf Plakate, die auf Geschlechtskrankheiten aufmerksam machen. “Unverschämt”, “Aufruf zur Hurrerei (sic)” und “Hört auf” kommentiert er großflächig mit Sprühfarbe auf den Wänden.

Plakatwand an einer Haltestelle neben dem Keplergymnasium.

Auf den Plakaten sind Menschen in Unterwäsche und kuschelnd abgebildet. Daneben stehende Texte rufen zu Safer Sex auf und warnen vor Geschlechtskrankheiten, die sich beim Sex schnell verbreiten, wenn man selbigen ohne Kondom praktiziert. Die Kampagne “Liebes Leben” der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung will damit sexuelle Gesundheit fördern. Nicht ohne Grund sind zwei der drei fotografierten Plakate in Sichtweite von Schulen und Bildungseinrichtungen platziert.

Das Plakat hängt an der Außenwand des ehemaligen Capitalkinos, direkt gegenüber von der Volkshochschule. Hoffentlich übernehmen sich die, die dort Deutsch als Fremdsprache lernen, nicht die Rechtschreibfehler des Sprayers.

Was der Protest-Sprayer daran so “unverschämt” und unerträglich findet – die Bilder über Sexualität, Geschlechtskrankheiten oder die Tatsache, dass Menschen Sex haben – problematisiert er nicht. Damit sind seine Protestkommentare gar nicht so weit entfernt von den Forderungen auf den Wahlplakaten. Denn auch dort werden oft Schlagwörter verbreitet, die zwar imposant tönen, aber inhaltsleer sind wie “Für unsere Heimat” oder “Mehr Fortschritt”. Dann doch lieber kein Jucken im Schritt.

Weiden als Klassenfeind im neuen Film von Bjarne Mädel

Eine Szene aus dem Film “Geliefert”. Bjarne Mädel spielt Volker, der sich von der Fußballmannschaft aus Weiden provozieren lässt. Screenshot: https://www.arte.tv/de/videos/095695-000-A/geliefert/

Bjarne Mädel, einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands, ist richtig sauer auf Weiden. Aber natürlich nur als Schauspieler, in seiner Rolle als Paketbote im neuen Film “Geliefert”. Dort kommt der Stadt eine prominente Rolle zu – als Klassenfeind.

Der Film wird als Sozialdrama beworben und das trifft es ganz gut. Bjarne Mädel spielt den alleinerziehenden Vater Volker, der 12 Stunden als Paketbote arbeitet, nachts noch Essen aus dem Müll fischt, und dem das Geld trotzdem nicht reicht. Eine tragische aber auch treffende Wiedergabe der Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland. Im Laufe des Filmes wird der Protagonist immer mehr gebeutelt: Der Chef mobbt ihn, der Sohn macht Stress, die Vermieterin macht Druck, das Geld reicht hinten und vorne nicht. Das einzige, was Volker noch ablenkt vom prekären Unterschichtendasein ist sein Ehrenamt als Fußballtrainer bei der “SpVgg Lappersdorf”. Doch auch hier schlägt die spätkapitalistische Verwertungslogik zu.

Wer noch Zweifel daran hat, dass die fiktive Mannschaft TUS Weiden auf die Oberpfälzer Stadt Bezug nimmt, muss sich einfach nur die Autokennzeichen der Mannschaftsbusse anschauen. Screenshot: https://www.arte.tv/de/videos/095695-000-A/geliefert/

Am Anfang des Films spielt die SpVgg Lappersdorf gegen den “TUS Weiden”. Die Lappersdorfer bekommen eine rote Karte, weil ein Weidener Spieler ein Foul vorgetäuscht hat, so zumindest sieht es Volker. Nach dem Spiel kommt es zum Streit zwischen den Trainern.

Weidener Fußballer in aggressiven Dortmunder Schwarz-Gelb

Das Weidener Team marschiert geschlossen im aggressiven gelb-schwarzen Outfit, das an giftige Tiere oder – aus bayerischer Sicht noch schlimmer – an die Borussia Dortmund erinnert, zu ihren Mercedes-Mannschaftswagen vorbei an Volker, in seinem verwaschenen Lappersdorfer Trainergewand. “Nennt man das bei euch in Weiden Fairness?”, ruft er dem Weidener Trainer zu. “Fairness ist die Ausrede der Verlierer”, entgegnet der. Dann steigen die Weidener in ihre Edelkarossen, gesponsert von einem Autohaus, und fahren weg. Falls jemand noch daran zweifeln sollte, ob es wirklich das – unser- Weiden ist, das gemeint ist, die Autokennzeichen sind unmissverständlich (siehe oberes Bild).

Es ist eine Schlüsselszene des Films, denn sie offenbart die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems. Die Weidener Mannschaft hat mehr Geld durch bessere Sponsoren, spielt unfair und gewinnt. Volker, der immer fair und gut sein will, zerbricht an dem System. Setzt er sich darüber hinweg und wird aufmüpfig, wird es sofort auf seinen Platz verwiesen, muss noch mehr arbeiten und noch mehr zahlen.

Weiden und Lappersdorf auch im richtigen Leben in einer Liga

Doch es ist letztlich die Liebe zum Fußball, die Volker auch rettet. Nachdem er Job und Führerschein verloren hat und er sich mit seinem Sohn zerstritten hat, entscheidet er, das marode Lappersdorfer Vereinsheim zu mieten und aufzupeppen.

Aktuelle Tabelle der Landesliga Bayern-Mitte. Die SpVgg Weiden ist auf dem ersten Platz, TSV Kareth-Lappersdorf auf dem vierten. Screenshot: https://www.transfermarkt.de/spvgg-sv-weiden/spielplan/verein/2278/saison_id/2021

Natürlich sind sowohl die SpVgg Lappersdorf als auch der TUS Weiden fiktiv. Im echten Leben heißen die Vereine TSV Kareth-Lappersdorf und SpVgg SV Weiden, und die Vereinsfarben sind ganz andere. Doch so ganz unrealistisch ist die Filmszene dann doch nicht. Erstens weil der Kapitalismus die Menschen wirklich kaputt machen und zweitens weil die Mannschaften wirklich in derselben Liga spielen. Und Weiden ist in der Landesliga Bayern-Mitte gerade auf dem ersten Platz und tatsächlich der Platzhirsch. Am 17. September spielen diese beiden Mannschaften wirklich gegeneinander.

Diskussion um “Kultur-Bahnhof”: OB ruft Revolution aus

Bewacht von Aloisius diskutieren Carolin Schiml (BUND Naturschutz), Jana Janota (Amtsleiterin Städtebaudezernat), OB Jens Meyer und Anwohner Roland Jezussek über die Zukunft des alten Bahngeländes.

Podiumsgäste diskutieren im Parapluie mit Anwohnern über die Zukunft des „Neuen Quartiers Bahnstadt Weiden“. OB Jens Meyer schlägt eine Revolution vor. War das wohl ein göttlicher Ratschlag, den der Aloisius ihm übermittelte? Der nämlich schwebte über der ganzen Szenerie.

Am Anfang zumindest öffnete der Himmel schonmal seine Schleusen. Die Eröffnungsrede von Moderatorin Sabine Mende, bekannt als Wirtin des Parapluie, ging im Starkregen unter.

Vor allem ging es bei der Diskussion um das ehemalige Bahnbetriebswerk westlich der Gleisanlagen, das weitgehend brach liegt. 2010 wurde das Gebiet bereits in das Stadtentwicklungskonzept (Abkürzung: SEK) aufgenommen. In dem Konzept schrieb die Stadt damals, sie wolle prüfen, ob die Bahn die Flächen noch braucht und stellte fest, dass der Bereich “funktionale Schwächen” und “Neuordnungsbedarf” aufweise. Mit dem Namensvetter der Polizei, dem Spezialeinsatzkommando (auch Abkürzung: SEK), hat das Stadtentwicklungskonzept nicht viel gemein. Denn 11 Jahre später, so resümiert Sabine Mende, ist das Konzept weit entfernt von Schnellschüssen. Nachdem der Bahnkonzern damals sehr ablehnend auf die Anfrage der Stadt reagierte, stagniert das Konzept.

Sabine Mende eröffnet im Starkregen die Podiumsdiskussion.

Nun wollen die Bürger*innen die Sache selbst in die Hand nehmen. Mit OB Jens Meyer ist die Stadtspitze dabei. Auch Verantwortliche der Bahn wurden eingeladen, doch keiner kam.

1 Kilometer Umweg statt 100 Meter

Das ist schade, denn nach Aussage von Meyer kann die Stadt nicht viel beeinflussen. Angesprochen auf die fehlende Barrierefreiheit am Bahnhof (kein Aufzug, Gepäckbänder funktionieren selten bis nie) sagt er, das sei Aufgabe der Bahn – er habe schon “zigmal” erfolglos angerufen. Auch die Idee, ein Fußgänger- und Fahrradbrücke über die Gleise nach Lerchenfeld zu bauen, scheint kompliziert in der Umsetzung. Dabei gibt es gute Argumente: Carolin Schiml vom BUND Naturschutz hat ausgerechnet, dass der Weg zum Bahnhof vom Parapluie mehr 1 Kilometer lang ist, Luftlinie 100 Meter.

Sind wir Bürger zweiter Klasse?

Frage eines ANwohners an den Oberbürgermeister

OB Jens Meyer stimmt zu. Auch er wohne in dem Viertel und finde den unnötigen Umweg unerträglich. Doch bei einer Brücke über die Gleise bräuchte es ja Aufzüge, und das wäre dann wirklich zu aufwendig. Das macht das Publikum wütend. Das mit der Brücke plus Aufzug funktioniere in Regensburg doch auch, sagt ein Anwohner: “Oder sind wir Bürger zweiter Klasse?” Aber Weiden sei doch nicht mit Regensburg vergleichbar, so Meyer. Carolin Schiml merkt an, dass es sogar in Reuth bei Erbendorf eine Brücke mit Aufzug über die Gleise gebe. Und das sei nun wirklich nicht Großstadt. Meyer plädiert stattdessen für einen Durchstich, ähnlich wie beim Wittgarten.

Kulturbühne am Bahnhof = Kulturbahnhof

Doch auch konstruktiv geht es zu bei der Diskussion: Einen Parkplatz und Wohnmobilstellplatz wünscht sich Parapluies Wirt Bernd Mende auf dem Gelände des alten Rangierbahnhofes. Die alten Backsteingebäude solle man erhalten und zur Kulturbühne aufwerten. Da gibt es Applaus aus dem Publikum. Die Weichen sind von Bürgerseite auf Kultur gestellt. Doch auch die Natur soll ihren Platz finden. In den Jahrzehnten Leerstand hat sich die Natur einiges zurückgenommen. Fledermäuse gebe es viele und auch Waldameisen hätten sich angesiedelt, sagt ein Anwohner.

Fest steht doch am Ende der Diskussion. Weiden ist zu klein, als dass die Dynamik von selber kommt. Eine Petition, um das Gelände nach Bürgerwille zu gestalten, soll her. “Ja wir machen eine Petition”, frohlockt Jens Meyer. “Und wenn nicht, dann machen wir eine Revolution.” Kämpferischer Applaus aus dem Publikum.

Das fanden alle cool, außer drei junge Kerle, die ziemlich alkoholisiert zwar keine Wortmeldungen machten, aber unmissverständlich zeigten, dass sie die ganze Veranstaltung nervt. “Luxusprobleme!”, ruft einer beim Abschlussapplaus. Als sie gehen, brüllen sie laut “Anti-Antifa” durch die Straßen. Dackeldorf hat die Revolution also auf jeden Fall nötig.

Für den Terminkalender: Am 29. Juli ist die nächste Diskussionsrunde zum Thema im Parapluie.

“Zu groß für unsere Stadt”: Demo gegen Kreuzfahrtschiffe in Venedig

Die Botschaft kommt an. Keiner der Kreuzfahrt-Tourist*innen winken wie sonst, wenn sie durch das historische Zentrum von Venedig fahren. Eine Demo mit “No”-Flaggen, Mittelfingern und Bengalos empfängt am 5. Juni 2021 das erste Kreuzfahrtschiff nach dem Coronalockdown. Fotocredit: Lucia Schreyer

Noch liegt die Lagune ganz ruhig da. Einige kleine Boote treiben durch den Kanal von Guidecca in der historischen Altstadt von Venedig, lustig flattern Flaggen, auf denen “No Grandi Navi” (“Keine großen Schiffe”) steht. Plötzlich verdunkelt sich der Horizont und eines dieser “grandi navi” taucht auf. Das Kruezfahrtschiff “MSC Orchestra” scheint hundertmal größer als die alten Paläste in der Altstadt, die sonst so imposant sind und auf einmal so mickrig.

“Siete troppo grandi per la nostra cittá!”, ruft ein Mann ins Mikrophon: “Ihr seid viel zu groß für unsere Stadt!” Hunderte Menschen stehen am Ufer und demonstrieren gegen die erste Durchfahrt eines Kreuzfahrtschiffes durch Venedig seit dem Corona-Lockdown. 17 Monate blieb die Stadt verschont.

Normalweise winken die Touristen an Bord, erzählt mir eine Freundin. Diesmal tut das keiner. Die Demonstrierenden strecken ihnen die “No”-Flaggen und übergroße Mittelfinger entgegen, zünden Bengalos. Ob die Menschen auf der Reling den Protest verstehen, ob da etwas ankommt? Sie sind zu weit weg, um ihnen in die Köpfe zu schauen.

Am Horizont ist schon das Schiff zu sehen. Fotocredit: Lucia Schreyer


Bei einem Apertifo später erzählen mir zwei Venezianer, dass die Kreuzfahrttouristen auch deshalb unbeliebt sind, weil sie kein Geld in die Stadt bringen. Auf ihrem fünfstündigen Landgang verstopfen sie Gassen und Brücken, essen und konsumieren aber an Bord. Die einzigen, die verdienen würden, seien die Taxiboote, die die Massen vom Schiff an Land fahren.
Sie zeigen mir Bilder von den Unfällen mit Kreuzfahrtschiffen der vergangenen Jahre. Im Juni 2019 krachte die “MSC Opera” in eine Anlegestelle und ein Touristenschiff im Kanal von Guidecca. Wenige Monate später rammte die “Costa Deliziosa” bei schwerem Unwetter beinahe mehrere Boote. Ins kollektive Gedächtnis tief eingebrannt hat sich auch die “Costa Concordia”, die 2012 im Mittelmeer mit einem Felsen kollidierte und kippte. 32 Menschen starben, der Kapitän hatte als erster das sinkende Schiff verlassen.

Wir empfangen das Schiff mit “No”-Flaggen und Mittelfingern.

Wir orakeln bei Weißwein, welche Auswirkungen die Klimakatastrophe in ein paar Jahren auf die Stadt haben wird. Einige Stadtteile werden abgesperrt sein, weil die Straßen dauerhaft überschwemmt und die Gebäude einsturzgefährdet sind. Irgendwann wird man dort nicht mehr wohnen können. Die Stadt wird im Wasser versinken. Noch mehr Platz für die Grandi Navi. Diese Hochhäuser der Meere werden ewig um die noble Stadt kreisen und nur noch die Touristen an Bord werden Zeuge davon sein, wie sie langsam untergeht.

Wer verlässt Venedig als erstes, wenn es sinkt? Wohl nicht die Arbeiter*innen und Studierenden, die die Stadt lebendig halten, sondern diejenigen, die nicht mehr vom Massentourismus profitieren können.

Ästhetik des Verfalls: Mit dem Natur-Navi durch die Oberpfalz

Kolumne von Beate Luber

Sie sehen ungefähr so zerstört aus wie die Burgruine Flossenbürg, sind aber knapp 1000 Jahre jünger. Graue Stelen mit Online-Infos übersäen den Oberpfälzer Wald. Sie wurden gefeiert als neuester Tourismus-Coup. Heute wirken sie eher wie morbide Landart-Skulpturen. Eine Reise zur Ästhetik des Verfalls in der Oberpfalz. Und ein Plädoyer für mehr öffentliche Kunst.

Eine graue Stele vor dem Pavillon im Max-Reger-Park in Weiden.

Zwei Stahlträger eingelassen in einen eingeritzten grauen Block stehen mitten im Stadtpark von Weiden. Wie reagiert da wohl der touristische Tagesausflügler? Ein kosmopolitischer Tourist mit Liebe zu Skurrilität denkt sich: “Cool, dadaistische Hieroglyphen eingelassen in massive Fragilität. Erinnert formalästhetisch an die beuyssche soziale Plastik.” Andere schreien: “A so a greislichs Ding. Des schaugt ja aus wie Fuxikraxi auf a dreckerten Klowand. Pfuideifel.”

Morbide “Points of Interest”

Intendiert war weder die Assoziation eines postmodernen Kunstwerks noch die einer Klowand. Die grauen Stelen sind Teil des Projekts “Natürlich unterwegs am Goldsteig – mein Natur-Navi durch den Oberpfälzer Wald”. Es gibt eine Internetseite zum Natur-Navi mit digitalen Wanderkarten, Hochglanzbildern und echt ganz guten Tourentipps – und eben die grauen Stelen oder “Points of Interest”, wie sie in der Projektbeschreibung genannt werden. 100 von ihnen stehen in den Landkreisen Tirschenreuth, Schwandorf, Neustadt und in der Stadt Weiden. Auf den Stelen ist oben eine Tafel, auf der überall dasselbe Bild drauf ist, der Name der Sehenswürdigkeit und ein QR-Code. Wer den scannt, bekommt Infos und Audios über den Ort. Eigentlich eine ganz gute Idee. Das dachte sich auch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und förderte das Projekt mit 70.000 Euro. 40.000 Euro steuerten die Landkreise dazu.

Liebesschwur und Lebensrat auf der Stele hinter der Dreifaltigkeitskirche in Muglhof.

Soweit so gut. Das Problem ist, dass die Stelen an den meisten Orten dermaßen durchgeranzt sind. Denn selbst mit einem einfachen Stöckchen ist es superleicht, da etwas einzuritzen. Das verführt so manche Ausflügler dazu, sich zu verewigen. Etwa mit dem kecken Klassiker: “Ich war hier.” Oder mit dem Symbol ewiger und innigster Liebe: Anfangsbuchstaben des Vornamens und ein + dazwischen. Wie romantisch. Oder einfach mit wildem und freien Rumritzen, aus spontaner Lust an der Bildhauerei.

Landrat: “Bitte nicht beschädigen”

Der Grund für die Stelen-Ritzerei: Es ist so einfach. Denn die Stelen sind aus Schaumglas. Schaumglas wird eingesetzt als Wärmedämmstoff, der sich an sich sehr gut eignet für so ein Projekt. Er ist relativ günstig, wasserdicht, nicht brennbar, schädlingssicher, recycelt aus alten Flaschen. Dazu verströmt Schaumglas noch einen verführerischen Schwefelgeruch, wenn man darauf herumritzt, weil es laut Wikipedia Schwefelwasserstoff enthält. „Bitte nicht beschädigen”, appellierte Schwandorfs Landrat Thomas Ebeling im Herbst 2019. Doch das Gegenteil ist der Fall: Zumindest im Landkreis Neustadt ist “Hinterlandrauschen” keine Stele bekannt, die nicht ein paar Kratzer hat.

Moderate Bürgerbildhauerei auf der Stele bei der Burgruine Flossenbürg.

Die Pressestelle des Tourismuszentrum Oberpfälzer Wald ist überrascht von dem Ausmaß der Zerstörung. “Mit einer derartigen Intensität an Sachbeschädigung und Vandalismus konnten wir zu Beginn des Projektes nicht rechnen und sind darüber sehr enttäuscht”, schreibt sie auf Anfrage von Hinterlandrauschen.

Manche Stelen seien repariert oder ausgetauscht worden, doch danach wieder zerstört, wie in Weiden. “Hier suchen wir derzeit nach einer Ersatzlösung, die möglichst nicht mehr beschädigt werden kann”, so die Tourismuszentrale. Auf das Recyclingmaterial Schaumglas müsse man dann aber verzichten. Die ganze Aktion wertet die Tourismuszentrale trotzdem als Erfolg. Denn die Natur-Navi-Stelen seien nur ein Teilbereich des Projektes. Der andere ist die Webseite www.oberpfaelzerwald.de/natur-navi/ , die als “Planungsplattform” und Tourenguide dient.

Auf den Stelen ist eine Tafel mit einem QR-Code, der Infos zu dem Standort bietet.

Vandalismus oder Diskurskunst?

Dass das “Vorzeigeprojekt aus dem Bereich Naturtourismus” zu einer öffentlichen Klowand bzw. zur beuysschen Skulptur mutierte, hätten die Macher nicht geahnt. Vandalismus im öffentlichen Raum ist ein diskussionswürdiges Thema. Einerseits sind Bürger durchaus berechtigt dazu, den öffentlichen Raum mitzugestalten. Dies sollte kein Monopol von staatlichen Institutionen sein. Oftmals kommen so Stimmen zu Wort, die öffentlich wenig Beachtung finden, aber wichtig sind im zeitgeschichtlichen Diskurs. Jüngstes Beispiel ist das anonyme Künstler*innen-Kollektiv, das in Nürnberg im Oktober 2020 die Pfeiler der Zeppelintribüne auf dem Reichsparteitagsgelände mit Regenbogenfarben bemalte, ein Zeichen der Bewegung von LGBTQI* (Lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Menschen). Nürnberg hat das anonyme Kunstwerk mit dem Titel “Das Regenbogen Präludium” einen Tag später entfernen lassen. Der Schritt wird bis heute kritisiert.

Riesige Schaumglasblöcke für alle

Gut. Die Natur-Navi-Stelen sind nicht die Zeppelinbühne, und die schaumglasritzenden Tagestouristen kein Künstler*innen-Kollektiv. Aber immerhin spricht aus dem vermeintlichen Vandalismus eine Sehnsucht nach künstlerischen Ausdrucksweisen, die die Tourismuszentrale nicht bieten kann. Warum also nicht einfach einen neuen Begriff der Kunst im öffentlichen Raum entwickeln, der die Grenze zwischen Rezipient*in und Produzent*in ganz aufhebt. Warum nicht den beuysschen Gedanken zu Ende denken und alle Menschen zu Künstlern machen? Nicht weniger Schaumglasskulpturen, sondern mehr und größere! Riesengroße Schaumglasblöcke, an denen sich die Menschen austoben und selbstverwirklichen können.

Dass das ganz gut klappt, zeigen die interessanten Skulpturen, die gerade überall aus dem Schnee erwachsen.

“Jeder Mensch ist ein Künstler”, sagte Joseph Beuys. Damit betont er das Schöpferische, das in jedem Menschen steckt. Die Natur-Navi haben dieses Potential hervorgeholt, freilich gegen den Willen der Macher. Das Schöpferische im Menschen zeigt sich auch an anderen Stellen im Stadtbild.

Jeder Mensch ist ein Künstler im Hinterland.

Weidener Stadträtin droht Tafel mit Klage wegen Maskenpflicht

Immer mehr Menschen brauchen in der Coronakrise kostenloses Essen. Stadträtin Sonja Schuhmacher droht dem Vorsitzenden nun Schadensersatzforderungen an, weil er die Maskenpflicht durchsetzt.

“Sie als Stadträtin sind eine Schande für Weiden und mitverantwortlich für den hohen Weidener Inzidenzwert.” Das hat Josef Gebhardt, der Vorsitzende der Weidener Tafel, der parteilosen Stadträtin Sonja Schuhmacher geschrieben. Der Hintergrund: Schuhmacher droht ihn mit einer Klage, weil er die Maskenpflicht bei der Tafel Weiden durchsetzt.

Weiden/Oberpfalz. Die Tafel Weiden-Neustadt arbeitet seit der Coronakrise am Limit. Mitarbeiter*innen bleiben aus Angst vor Ansteckung daheim, aber immer mehr Weidener brauchen kostenlose Lebensmittel. Tafel-Vorsitzender Josef Gebhardt sitzt im Büro der Tafel in Weiden-Mooslohe und ist wütend. Seine Stimme überschlägt sich, er redet laut und schnell. Er schimpft über den Brief von Sonja Schuhmacher, dazwischen platzen immer wieder Mitarbeiter*innen ins Büro. Wo sind die blauen Säcke, wo ist die Kasse, wo soll die neue Lebensmittelspende hin? Draußen vor der Tür wird die Schlange vor der Ausgabe immer länger.

30 Stunden pro Woche arbeitet Gebhardt meistens in seinem Ehrenamt als Vorsitzender, gerade sind es eher 50, sagt er. “Ehrenamtlich Tätige so zu bedrohen, dazu gehört schon eine große Portion Ignoranz”, auch das hat er Schuhmacher geantwortet auf ihre Mail. In dieser hat Stadträtin Sonja Schuhmacher ihm geschrieben, dass Mund-Nase-Masken gesundheitsschädlich seien. Sie fordert ihn auf, die Maskenpflicht auszusetzen und droht ihm mit Schadenersatzforderungen. Sie schreibt ihm: “Deshalb möchte ich Sie bitten, auf eine rigorose Durchsetzung der entsprechenden Verordnungen zu verzichten und die Besucher und Mitarbeiter der Tafel frei atmen zu lassen, wenn sie dies möchten und müssen. Zumal Sie persönlich wegen Schadensersatz herangezogen werden können, sollte in Ihren Räumen jemand wegen zu geringer Sauerstoffversorgung unter einer Mund-Nase-Bedeckung zusammenbrechen.” Die Mail ist unterschrieben mit: Sonja Schuhmacher, Stadträtin.

Josef Gebhardt arbeitet gerade 50 Stunden pro Woche in seinem Ehrenamt als Tafel-Vorsitzender. Über den Brief von Sonja Schuhmacher regt er sich deshalb besonders auf.

Wie die Tafel Weiden darauf reagiert, erklärt Josef Gebhardt im Interview.

Was hat Sie an dem Brief von Frau Schuhmacher so wütend gemacht?
Die Bedrohung, dass ich mir ein Gerichtsverfahren zuziehen kann. Diese Drohung, ich mache mich schuldig, straffällig.

Gibt es eine Vorgeschichte dazu? Hat Frau Schuhmacher sie einfach aus dem Blauen hinaus angeschrieben?
Es geht um eine Lebensmittelabholerin, die schwanger ist. Ich denke im zweiten Monat. Sie ist die einzige Abholerin, die sich weigert, eine Maske aufzusetzen. Auf Bildern habe ich gesehen, dass die Dame auch bei dem Fackelzug der Querdenken-Demo am 24. Oktober dabei war, der am Klinikum vorbeigegangen ist. Wir haben einen Vorstandsbeschluss, der besagt: Wir schließen Mitarbeiter oder Lebensmittelabholer aus, die sich weigern, eine Maske aufzusetzen. Wir haben mit der Frau geredet und uns darauf geeinigt, dass sie einen Schal vor Mund und Nase bindet. Wenn Frau Schuhmacher daran interessiert wäre, das anders zu lösen, wäre sie ins Büro gekommen. Aber ihr geht es um was anderes.
Wir haben ja auch andere Fälle, psychisch kranke Menschen, die nicht in der Schlange stehen können. Denen reservieren wir dann extra Ausgabezeiten.

Wie haben Ihre Mitarbeiter*innen auf das Schreiben reagiert?
Die wissen das noch gar nicht.

Wie reagieren Sie darauf?
Jeder, der bei diesen Maskenverweigerungsdemos nachweislich dabei ist oder sich weigert eine Maske aufzusetzen, werde ich ins Büro bitten und Hausverbot erteilen. Diese Leute haben ein erhöhtes Infektionsrisiko.
Die ganze Coronazeit über sind wir durchgekommen, ohne dass sich ein Mitarbeiter infiziert hat. Wir arbeiten mit Händen und Füßen, um den Laden am Laufen zu halten. Solche Briefe von Frau Schuhmacher sind Querschüsse. Wie kann man sich zu sowas erdreisten? So eine Unverschämtheit. Meine erste Reaktion war, die Tafel zu schließen, bis sich die Politik eindeutig positioniert hat, aber das lässt sich aus zeitlichen Gründen nicht durchführen.

Jeder bei der Tafel Weiden-Neustadt muss Maske tragen, Mitarbeiter*innen und Abholer*innen. Wer sich weigert, bekommt Hausverbot, kündigt Gebhardt an. Er hat Angst vor Infektionen.

Sehen Sie wirklich einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den coronakritischen Demos in Weiden und dem hohen Inzidenzwert in der Stadt?
Ja, auf jeden Fall. Die Teilnehmer dieser Demos sind ein höheres Risiko. Die Leute reisen ja teilweise durch ganz Deutschland, um auf Demos zu fahren.

Frau Schuhmacher hat Sie als Stadträtin angeschrieben, was für Reaktionen erwarten Sie von der Stadt Weiden und Oberbürgermeister Jens Meyer?
Die Stadt Weiden soll mir sagen, ob ich die Maskenpflicht nun durchsetzen muss oder nicht. Das ist ja Pflicht. Die sollen darüber informiert sein, was ihre Kollegin macht. Das schreit doch zum Himmel. Da werden Gelder rausgeschmissen, anstatt einmal ein klares Wort zu sagen.
Ich werde auch die Tafel Deutschland informieren über den Vorfall mit der Bitte, sich dazu zu äußern.